Beim Arbeitsunfall wird es oft kleinlich

Beim Arbeitsunfall wird es oft kleinlich

Beim Arbeitsunfall wird es oft kleinlich

Ein Arbeitsunfall ist immer eine unangenehme Angelegenheit. Nicht nur, dass ein Missgeschick zu körperlichen Schäden führt. Oft ist der anschließende Streit mit der Versicherung der unwürdigste Akt. Als Versicherer fungiert in solchen Fällen die Berufsgenossenschaft, in der jeder Unternehmer mit Beschäftigten eine Pflichtmitgliedschaft besitzt. Die Beiträge orientieren sich an den Ausgaben der Berufsgenossenschaft im letzten Geschäftsjahr, an Arbeitsentgelten und Gefahrenklassen.

Jeder Arbeitsunfall, der als solcher anerkannt wird, hat also automatisch auch Auswirkungen auf die Höhe der zukünftigen Beiträge. Deshalb lässt sich das regelmäßige Feilschen um die Anerkennung als Arbeitsunfall bis zu einem gewissen Grad auch nachvollziehen. Auf der anderen Seite besteht natürlich das Recht der Versicherten auf Schadensausgleich.

Zur Handhabung in der Praxis haben die hier zuständigen Sozialgerichte dezidierte Regeln aufgestellt. Dennoch entfacht sich an den meisten Unfällen immer noch Streit um Anerkennung und Ersatzpflicht.

Arbeitsunfall im Homeoffice

In zunehmendem Maße geraten nun auch Vorgänge im Homeoffice in das Tagesgeschäft der Gerichte. Bisher wurden Arbeitsunfälle, die sich dort ereignet hatten, recht stiefmütterlich abgetan. In der Regel galt dort alles zuerst einmal als privat motiviert. Die Ausnahme beweisen zu können, das fiel oft schwer.

Doch dieser Ansatz gerät nunmehr ins Wanken. Ein aktuelles Urteil des Bundessozialgerichts erinnert einmal mehr an den Grundsatz, dass der sachliche Zusammenhang zwischen der zum Arbeitsunfall führenden Verrichtung und der Handlungsmotivation des Verunfallten im Fokus der Beurteilung stehen müssen (BSG, AZ: B 2 U 4/21 R).

Unmittelbares Unternehmensinteresse

Im dort entschiedenen Fall war ein Beschäftigter auf dem morgendlichen Weg vom Bett ins Homeoffice gestürzt. Er befand sich auf dem Weg zur Arbeitsaufnahme von seinem Schlafzimmer in das eine Etage tiefer gelegene häusliche Büro. Dort beginnt er üblicherweise unmittelbar zu arbeiten, ohne vorher zu frühstücken. Beim Beschreiten der die Räume verbindenden Wendeltreppe rutschte er aus und brach sich einen Brustwirbel. Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte Leistungen aus Anlass des Unfalls ab. Während das Sozialgericht den erstmaligen morgendlichen Weg vom Bett ins Homeoffice als versicherten Betriebsweg ansah, beurteilte das Landessozialgericht ihn als unversicherte Vorbereitungshandlung, die der eigentlichen Tätigkeit nur vorausgeht.

Das Bundessozialgericht hat die Entscheidung des Sozialgerichts bestätigt und sich damit auf die Seite des klagenden Verunfallten gestellt. Ausnahmsweise ist ein Betriebsweg auch im häuslichen Bereich denkbar, wenn sich Wohnung und Arbeitsstätte im selben Gebäude befinden (Urteil vom 5.7.2016 – B 2 U 5/15 R). Ob ein Weg als Betriebsweg im unmittelbaren Unternehmensinteresse zurückgelegt wird und deswegen im sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit steht, bestimmt sich auch im Homeoffice nach der objektivierten Handlungstendenz des Versicherten, also danach, ob dieser bei der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (Urteil vom 31.8.2017 – B 2 U 9/16 R).

Sachlicher Zusammenhang ist entscheidend

Dass der Streit mit der zuständigen Berufsgenossenschaft noch kleinlicher ausgefochten werden kann, das erfuhr ein Industriemechaniker vor einiger Zeit leidlich in anderer Konstellation.

Im konkreten Fall kam dieser eines Morgens besonders früh zur Arbeit in einer Maschinenfabrik. Dort trank er an einem Stehtisch seinen morgendlichen Kaffee. Als der Vorgesetzte erschien und ihn anwies, den Tisch abzuräumen und Unterlagen aus einem Container zu holen, folgte der Arbeitnehmer dieser Weisung.

Er nahm hierzu seine Kaffeetasse auf, stürzte aber bereits nach wenigen Schritten. Dabei zersprang die leere Kaffeetasse und der Mann zog sich erhebliche Schnittverletzungen an der Hand zu. Etliche Nerven, die Beugesehne und mehrere Blutgefäße waren in Mitleidenschaft gezogen worden. Man könnte also meinen, ein klassischer Arbeitsunfall steht hier zur Disposition.

Tatsächlich wollte der Industriemechaniker von der zuständigen Berufsgenossenschaft dieses Missgeschick als Arbeitsunfall anerkannt haben. Diese lehnte jedoch mit dem Hinweis ab, dass Essen und Trinken und das damit in Zusammenhang stehende Verletzungsrisiko zum persönlichen und damit nicht versicherten Lebensbereich gehören. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass üblicherweise bei betrieblichen Besprechungen Kaffee getrunken wird.

Arbeitsunfall auch beim Kaffeetrinken

Da sich der Sturz hier im Rahmen einer Dienstbesprechung ereignet hat und der Arbeitnehmer aufgefordert war, Unterlagen zu beschaffen, hat er sich zwar bei einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit befunden. Das gleichzeitige Mitführen seiner eigenen Kaffeetasse sei aber  als eigenwirtschaftliches Handeln zu werten. Deshalb versagte die Berufsgenossenschaft die Anerkennung als Arbeitsunfall.

Das sahen die Richter am Sozialgericht Dortmund komplett anders und verurteilten die Berufsgenossenschaft, die Versicherungsleistungen zu übernehmen.

Der sachliche Zusammenhang zwischen Unfall und Verrichtung der Arbeit sei hier stets gegeben gewesen. Das Wegbringen der Kaffeetasse war aus betrieblichem Interesse erfolgt. Es spielt keine besondere Rolle, ob dabei betriebliche Arbeitsmittel oder private Gegenstände weggeräumt werden. Soweit der Unfall ohne eigenwirtschaftliches Interesse eingetreten ist, bleibt es unerheblich, ob am Unfallhergang ein Gegenstand beteiligt ist, der eigenwirtschaftlichen Zwecken dient. Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen bestätigte das Urteil in einer Berufungsverhandlung (LSG Nordrhein-Westfalen Az: L 10 U 453/17).

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