
Zuschläge für Überstunden trotz Urlaub
Überstunden sind nicht selten ein heikles Thema. Vor allem an der Vergütung scheiden sich regelmäßig die Geister. Oft ist dabei schon streitig, was Überstunden sind und wie sie sich von der Mehrarbeitszeit unterscheiden. Dabei wird als Überstunden die Zeit definiert, die eine aufgrund von Tarifvertrag, Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag vereinbarte regelmäßigen Arbeitszeit überschreitet. Von Mehrarbeitszeit hingegen spricht man, wenn die gesetzlich normierte Höchstarbeitszeit überschritten wird.
Grundsätzlich ist niemand zur Erbringung von Überstunden verpflichtet. Das gilt sowohl für Beschäftigte in Vollzeit als auch für Teilzeitkräfte und Aushilfen. Allerdings gibt es immer wieder Ereignisse, die ein Mehr an Arbeitszeit erfordern. Befindet sich das Unternehmen in einer Notsituation und kann die Notlage nur durch Überstunden beseitigt oder der Betrieb nur dadurch aufrechterhalten werden, müssen die Beschäftigten auch einseitig angeordnete Überstunden leisten.
Idealerweise gibt es zu Überstunden und Mehrarbeitszeit vertragliche Vereinbarungen, auch, um das Ganze nicht ausufern zu lassen, eine saubere Zählung sicherzustellen und auch die Vergütung zu regeln. Sofern geleistete Überstunden nachgewiesen werden, sind diese zu vergüten. Hierfür ist zunächst einmal der Stundensatz maßgeblich, der für jede Arbeitsstunde vereinbart ist. Eine automatische Erhöhung dieses Stundenlohns, als Entschädigung für das Mehr an Arbeitszeit, ist gesetzlich nicht vorgesehen. An dieser Stelle kommt der geltende Tarifvertrag ins Spiel. Dort sind regelmäßig die Zuschläge für Überstunden und Mehrarbeitszeit verbindlich geregelt. Gleiches gilt für Regelungen im Arbeitsvertrag, soweit die Tarifbindung fehlt.
Führt Urlaub zu Verfall von Überstunden?
Doch damit sind noch längst nicht alle Unklarheiten beseitigt. Was geschieht beispielsweise mit den Stunden, die in einem Monat gearbeitet werden, in den dann auch noch die Urlaubszeit fällt. Zwar ist während des Urlaubs die Erbringung von Überstunden ausgeschlossen, allerdings führt ein angetretener Urlaub faktisch zur „Vernichtung“ bereits geleisteter Mehrarbeit im selben Monat.
Zuletzt hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit dieser heiklen Frage zu beschäftigen (BAG, AZ: 10 AZR 210/19). Da diese Problematik aber auch Unionsrecht tangiert, war vorab eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs angefordert worden (EuGH, AZ: C-514/20).
In der Sache ging es um einen Arbeitnehmer eines Personaldienstleisters, der in Vollzeit mit einem Bruttostundenlohn von 12,18 Euro beschäftigt war. Für das Arbeitsverhältnis galt ein Tarifvertrag für die Zeitarbeit. Dort war geregelt, dass Überstunden mit einem Zuschlag von 25 % vergütet werden, die im jeweiligen Kalendermonat über eine bestimmte Zahl geleisteter Arbeitsstunden hinausgehen. Im August 2017, der 23 Arbeitstage umfasste, arbeitete der Arbeitnehmer 121,75 Stunden und nahm 10 Tage Urlaub in Anspruch, die seine Arbeitgeberin mit 84,7 Stunden abrechnete. Zuschläge für geleistete Überstunden wurden für diesen Monat nicht berechnet. Mit seiner Klage verlangte der Arbeitnehmer nunmehr Zuschläge für die über Urlaubszeit hinausgehenden Stunden. Er war der Auffassung, dass die für den Urlaub abgerechneten Stunden selbstverständlich bei der Stundenerfassung des Monats mit einzubeziehen seien.
Europäischer Gerichtshof entscheidet eindeutig
Das Bundesarbeitsgerichts hatte Zweifel, ob die Regelung des Tarifvertrages, die Urlaubsstunden bei der Berechnung außen vor zu lassen, sich in Übereinstimmung mit europäischem Recht befand. Einerseits sei der Wortlaut im Tarifvertrag deutlich, andererseits widerspricht sie der Regel, dass keine Regelungen Gültigkeit entfalten dürfen, die eine Inanspruchnahme des Urlaubs hindern könnten. Durch die in Rede stehende tarifvertragliche Regelung nämlich könnten sich Arbeitnehmer gegen die Inanspruchnahme von Urlaub entscheiden. Diese Frage legte das Bundesarbeitsgericht dem europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vor.
Urlaubszeiten werden wie Sollarbeitszeit abgerechnet
Der Europäische Gerichtshof sah das genauso wie der Kläger. Arbeitnehmer dürfen durch die Praxis der Nichtberücksichtigung von Überstunden in ihrem Urlaubsmonat nicht davon abgehalten werden, bezahlten Urlaub zu nehmen. Da der Urlaubsanspruch durch seinen Erholungszweck dem Gesundheitsschutz dient, sind Hindernisse der Inanspruchnahme nicht mit europäischem Recht vereinbar.
Das Bundesarbeitsgericht übernahm diese Entscheidung und urteilte im vorliegenden Fall zu Gunsten des Arbeitnehmers. Danach sind ab sofort Urlaubszeiten als Soll-Arbeitszeit abzurechnen, so dass geleistete Überstunden auch in Urlaubsmonaten Berücksichtigung finden. Entgegenstehende Regelungen in Tarifverträgen oder Einzelverträgen sind daher unzulässig.
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