
Teilqualifikation – was ist das und wie geht das?
In Deutschland sind Job-Chancen und auch Einkommen nach Expertenansicht viel zu sehr von formalen Nachweisen über erworbene Bildungs- und Berufsabschlüsse abhängig. Dabei können gerade auch die im Alltag oder bei verschiedenen Tätigkeiten erworbenen Fähigkeiten von großem Interesse sein. Sie bieten oftmals Potenziale, die weitestgehend ungenutzt bleiben und aus Unkenntnis verkümmern. Schon bei der Bewerberauswahl werden hierbei Chancen vergeben. Denn es ist bereits seit langem bekannt, dass etwa 70 Prozent des Wissenserwerbs außerhalb von formalen Bildungsinstitutionen stattfindet und damit ohne formellen Abschluss bleibt. Non-formales und informelles Lernen begleitet jeden Menschen ein Leben lang und ist damit ein sehr bedeutsamer Bildungsfaktor.
Teilqualifikation bei Schwierigkeiten mit der Theorie
In diesem Zusammenhang kann die Idee der Teilqualifikation durchaus als möglicher Lösungsansatz für die Zukunft erachtet werden. Unter Teilqualifikationen versteht man abgegrenzte, standardisierte Einheiten innerhalb einer Gesamtstruktur, die sich an betrieblichen Arbeits- und Geschäftsprozessen ausrichten und inhaltlich Teile eines anerkannten Ausbildungsberufs darstellen. Mehrere Teilqualifikationen können zum Berufsabschluss durch die Abschlussprüfung führen.
Jede Teilqualifizierung muss so konzipiert sein, dass sie den Teilnehmenden die Integration in den ersten Arbeitsmarkt ermöglicht. Die einzelnen Teilqualifikationen müssen in der Summe alle Aspekte eines Berufsbilds abdecken. Der Berufsabschluss wird hier ebenfalls über eine Externenprüfung ermöglicht.
Dabei sind Teilqualifikationen in sich geschlossene Einheiten, die in ihrer Gesamtheit den Inhalt eines staatlich anerkannten Ausbildungsberufes widerspiegeln. Allerdings müssen die einzelnen Teile oder Etappen nicht ununterbrochen und hintereinander absolviert werden. In der Gestaltung der Abläufe ist jeder Interessierte relativ frei.
Nach Abschluss der jeweiligen Teilqualifikation finden eine theoretische und eine praktische Kompetenzfeststellung statt. Die Inhalte sind weitgehend standardisiert und werden bei erfolgreichem Nachweis mittels Zertifikat bescheinigt. Hierdurch erfolgt eine schrittweise Vorbereitung auf die Prüfung im entsprechenden, anerkannten Ausbildungsberuf.
Bürokratie blockiert sinnvolle Entwicklung
Mit deutscher Gründlichkeit ist man auch auf dem Gebiet der Teilqualifikationen dabei, ein interessantes Phänomen arbeitsmarktlicher Entwicklung zu bürokratisieren und in ein einheitliches System zu pressen. Dabei läuft die Entwicklung berufsspezifischer Kenntnisse und Fertigkeiten aber der Ordnungsarbeit deutscher Bildungstheoretiker schon seit Jahren davon. Es bleibt zu wünschen, dass Teilqualifikationen in naher Zukunft einer flexiblen Anerkennung auf Expertenbasis zugänglich sind, um nicht die Zukunft auszubremsen.
Dabei ist das Phänomen der Teilqualifikation nicht ganz neu. Auch schon in der ehemaligen DDR gab es den Beruf des Teilfacharbeiters. Allerdings war diese Ausbildung gesetzlich geregelt und beinhaltete alle Details einer klassischen Ausbildung. Im Zuge der deutschen Einheit wurde den Teilfacharbeiterinnen und Teilfacharbeitern allerdings die Anerkennung versagt. Vielmehr stellte man sie mit Personen gleich, die eine berufsvorbereitende Maßnahme absolviert hatten. Dies war in den meisten Fällen eine klassische Abwertung der ohne Zweifel erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten vor allem auf praktischem Gebiet.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es auch heute wieder Kritik an der Teilqualifizierung gibt, wenn auch aus weitgehend anderen Gesichtspunkten.
Widersacher bremsen Zukunftschancen aus
Inzwischen wird vor allem von Gewerkschaftsseite eingeworfen, dass Teilqualifikationen keinerlei positive Wirkung auf das Problem des Fachkräftemangels haben. Vielmehr besteht dort die Sorge, dass damit prekäre Arbeitsverhältnisse manifestiert werden, um schlussendlich auch das Tarifsystem zu unterlaufen. Dieses orientiere sich schließlich am Ordnungsprinzip der staatlich anerkannten Ausbildungsberufe. Die Teilqualifikation aber würde diese Ausbildungsstruktur zerstückeln.
Ob derlei Widerstand geeignet ist, die Entwicklung am Arbeitsmarkt auszubremsen, das darf bezweifelt werden. Ohnehin wäre es Sache der Gewerkschaften, auch Teilqualifikationen als ordentliche Arbeit zu akzeptieren und in ihr Tarifgefüge aufzunehmen. Zumal gerade diese Möglichkeit der Qualifizierung für viele Menschen mit Problemen des theoretischen Teils einer Ausbildung der schnellste Weg ist, sich auch mittels Arbeit eine Existenz in diesem Land aufzubauen. Ohnehin schreitet die Entwicklung am Arbeitsmarkt schneller voran als dass sich Neuentwicklungen unmittelbar in den Ausbildungsordnungen wiederfinden. Statt Teilqualifikationen zu verteufeln, sollte man diese als akzeptable Form des Übergangs begreifen. Dass durch learning by doing erlangte Kenntnisse und Fertigkeiten durchaus und auch schon heute Anerkennung genießen, das wird anhand der Externenprüfungen sichtbar, die sowohl bei den Ausbildungsberufen als auch bei den qualifizierten Berufsabschlüssen möglich sind.
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