
Arbeitskräftemangel vs. Arbeitslosenstatistik
Glaubt man der offiziellen Arbeitslosenstatistik, dann befindet sich die Arbeitslosigkeit zwar deutlich im Anstieg begriffen, in Anbetracht der angespannten wirtschaftlichen Gesamtsituation aber immer noch auf einem recht moderaten Stand. Zur Beruhigung der „Volksseele“ wird gar davon gesprochen, dass das Tal der Entwicklung erreicht sei. Doch was sind die monatlich verkündeten Zahlen wert, welche Aussagekraft besitzen sie wirklich?
Zwar ist in Deutschland per Gesetz festgelegt, wer als arbeitslos gilt, die alleinige Grundlage für die offizielle Statistik ist diese Definition aber nicht. Auch Verordnungen, Ausführungsbestimmungen und interne Weisungen beeinflussen die Zählweise. Das sorgte schon oft für Unmut, vor 23 Jahren sogar für einen handfesten Skandal. Die damals aufgedeckten Statistik-Tricks der alten Bundesanstalt für Arbeit gipfelten im kompletten Umbau der Strukturen und auch das Monopol auf Arbeitsvermittlung musste damit beerdigt werden. Völlig aus der Schusslinie weiterhin vermuteter Statistik-Tricks ist die Behörde nie geraten. Offiziell waren zuletzt im Jahr 2013 wieder Ungereimtheiten bei den Zahlen aufgetaucht, was man allerdings schnell mit Einzelfällen zu erklären versuchte.
Kreative Statistik
Raum für kreative Gestaltung lässt die gesetzliche Definition der Arbeitslosigkeit aber immer. Denn sie ist sehr weit gefasst. Danach sind alle Erwachsenen, die vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, weniger als 15 Stunden pro Woche arbeiten, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung suchen und für einen Job sofort verfügbar sind, im Prinzip arbeitslos. Zudem müssen sich die Betroffenen, um überhaupt gezählt zu werden, persönlich arbeitslos gemeldet haben. Generell nicht als arbeitslos angesehen werden dagegen Schüler, Studenten und Rentner, auch im erwerbsfähigen Alter.
In der Arbeitslosenstatistik fehlen dann auch noch diejenigen, die durch Instrumente der Arbeitsmarktpolitik gefördert werden. Das betrifft die Fort- und Weiterbildung genauso wie Trainings- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Wer einen Ein-Euro-Job hat oder einen Gründungszuschuss erhält, gilt also offiziell nicht als arbeitslos. Ebenfalls nicht erfasst werden alle Personen ab einem Alter von 58 Jahren, die zwölf Monate lang keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung angeboten bekommen haben oder deren Chance auf Vermittlung einer Arbeitsstelle relativ gering ist. Zusätzlich streicht die Arbeitsagentur alle aus der Statistik, die eine Vermittlung erschweren, weil sie ihre Pflichten bei der Jobsuche nicht erfüllen. Da sich die offizielle Zählung durch Gesetzesänderungen auch regelmäßig ändert, ist die heutige Statistik mit der vergangener Jahre kaum noch vergleichbar.
Nicht vergessen werden darf dabei auch die Zahl der Kurzarbeiter. Nachdem die Regierung zuletzt erst die maximale Dauer der Kurzarbeit von 12 auf 24 Monate verlängert hat, werden die Arbeitslosenzahlen auch hiervon noch stärker beeinflusst.
Statistik belegt das Gegenteil von einem Arbeitskräftemangel
Die Zahlenspielereien verstellen immer wieder den Blick auf das Wesentliche: Deutschland braucht einen Zuwachs an Arbeitskräften. Arbeitslose muss es bei dem avisierten Bedarf theoretisch nicht mehr geben. Doch ein Blick auf die aktuellen Zahlen offenbart Erstaunliches: Offenbar schlummert unser Arbeitskräftepotenzial munter und relativ gut versorgt in der Statistik, gehoben werden die Ressourcen nur sporadisch und nicht mit dem hierfür notwendigen Druck. Ausreden hingegen finden sich viele, auch wenn sie in der Logik immer mehr Fragen zu den Versäumnissen und Problemen aufwerfen.
So waren im August 2025 offiziell 3.025.136 Menschen in Deutschland arbeitslos. Davon erhielten 1.019.061 Arbeitslosengeld. Hingegen zählen mehr als 2 Mio. Personen nicht als arbeitslos, da sie sich in arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen befinden (462.129), sich in Schule oder Studium befinden(432.525), mit Erziehung oder Pflege gebunden sind (267.946), arbeitsunfähig sind (246.789), unter die Sonderregelung für Ältere fallen (58.103) oder deren momentaner Verbleib schlichtweg unbekannt ist (270.424).
Potenziale bleiben unangetastet
Parallel dazu befinden sich noch 5.667.422 Personen mit Anspruch auf Grundsicherung in 2.913.516 Bedarfsgemeinschaften. Davon gelten 3.951.269 Personen als erwerbsfähig. Immerhin 2.591.116 aller Personen, die dem Regelungskreis der Grundsicherung unterfallen, sind Langzeitbezieher. Allein in diesem Bereich verfügen wir im Land über ein erhebliches Potenzial von zusätzlichen Arbeitskräften, was es schlichtweg zu aktivieren gilt – ohne wenn und aber.
Innerhalb der Gruppe der erwerbsfähigen Arbeitslosen bzw. der Leistungsbezieher der Grundsicherung finden sich nahezu alle Berufsbilder wieder. Es bedarf also vor allem eines ernsthaften Willens, die Problematik mit dem Arbeitskräftemangel angehen zu wollen und dabei auch die offenkundigen Ressourcen vollumfänglich zu aktivieren. Mittel und Wege gibt es seit langem. Doch das Ganze ist mit unpopulären Entscheidungen verbunden. Dazu finden sich derzeit nur wenige Mandatsträger bereit. Zu wichtig sind inzwischen die aktuellen Umfragewerte geworden, an denen die eigene Bedeutung zu kleben scheint.
Die Trägheit das gegenwärtigen Systems der Arbeitslosenverwaltung offenbart sich auch an der Aktualität der zur Verfügung stehenden Daten. Lediglich die Zahl der Arbeitslosen ist auf dem aktuellen Stand. Alle anderen Zahlen stammen noch aus dem Frühjahr 2025 und werden nur sehr langsam nachträglich veröffentlicht. Allein dieser Umstand macht aufmerksame Beobachter skeptisch. Wird doch so ein Zahlenwirrwarr verursacht, welches beim Entwicklungstand der Technik mehr als lächerlich wirken muss.