Kündigungsschutz bei Krankheit ist möglich
Die Häufigkeit von psychischen Erkrankungen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Weltweiten Studien zufolge vor allem im Bereich der Angststörungen und Depressionen. Grund hierfür können auch wachsende Existenzängste der Menschen sein. Höchste Zeit, sich einmal intensiv mit dem Kündigungsschutz zu beschäftigen, der bei künftiger Genesung eine wichtige Rolle spielen kann.
Lange Zeit hielt sich der Irrglaube, dass eine Krankheit generell vor einer möglichen Kündigung schützt. Inzwischen dürfte jedem klar sein, dass diese Auffassung keinen grundsätzlichen Bestand hat. Ohnehin sind Pauschalisierungen im deutschen Recht völlig unangebracht. Es kommt immer auf den Einzelfall mit seiner ganz speziellen Historie an.
So gibt es im Arbeitsrecht natürlich auch Schutzvorschriften, die eine Kündigung deutlich erschweren, beispielsweise bei Vorliegen einer Behinderung. Und manchmal wirkt auch eine Krankheit wie eine Behinderung. Dann kommt man dem gern bemühten und auch rettenden Kündigungsschutz doch wieder deutlich näher.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einer viel beachteten Entscheidung (Aktenzeichen C-335/11 und 337/11) klargestellt, dass das Verbot der Diskriminierung wegen einer Behinderung sich nicht nur auf Behinderungen im engeren Sinne bezieht. Auch Krankheiten können eine Behinderung im Sinne des Gleichbehandlungsgrundsatzes darstellen, wenn sie eine physische, geistige oder psychische Einschränkung mit sich bringen, diese Einschränkung von langer Dauer ist und eine volle und wirksame Teilhabe am Berufsleben negativ beeinflusst.
Ob die Krankheit unheilbar oder heilbar ist, das bleibt insoweit unerheblich.
Danach können also chronisch erkrankte Arbeitnehmer den Menschen mit Behinderung gleichgestellt werden und haben Anspruch auf den besonderen Kündigungsschutz. Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz soll damit Betroffene ebenso schützen wie Schwerbehinderte. Ein chronisch Kranker, der nach deutschem Recht keinen Grad der Behinderung von 50 erreicht, demnach nicht als schwerbehindert gilt, kann nach dieser Definition einem behinderten Menschen gleichzustellen sein.
Führen nationale Regelungen dazu, dass diese Menschen unmittelbar oder mittelbar benachteiligt werden, sind diese Regelungen europarechtswidrig. Der EuGH verpflichtet mit den Grundsätzen aus diesem Urteil die nationalen Gerichte zu einer Prüfung, ob eine Regelung angemessen ein rechtmäßiges Ziel verfolgt oder zu sehr zu Lasten von Arbeitnehmern mit Behinderungen geht.
Zwar betraf der entschiedene Fall das dänische Arbeitsrecht. Doch die Grundsätze, die der EuGH hier entwickelt hat, sind natürlich auch für das deutsche Arbeitsrecht und seine Gerichte bindend. Bei krankheitsbedingten, erheblichen Fehlzeiten war es schon lange nicht ohne weiteres möglich, wirksam zu kündigen. Eine Verkürzung dieser Kündigungsfristen kommt im Krankheitsfall aber auch grundsätzlich nicht in Betracht.
Bei krankheitsbedingten Kündigungen sind stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung ist fortan diese EuGH-Entscheidung mit zu berücksichtigen. Gehen die Fehltage auf eine chronische oder dauerhafte Erkrankung eines Mitarbeiters zurück, müssen Arbeitgeber auch diesen Beschäftigten die Hilfen anbieten, wie sie an sich nur für behinderte Beschäftigte vorgesehen sind. Dazu gehört neben dem Eingliederungsmanagement also auch der besondere Kündigungsschutz.
Daneben könnte auch § 4a des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EntgFG) von diesen Grundsätzen betroffen sein. Nach dieser Vorschrift kann der Arbeitgeber bisher Sondervergütungen für Zeiten kürzen, in denen eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Doch eine derartige Regelung wäre nun als europarechtswidrig anzusehen, sofern davon langzeiterkrankte Mitarbeiter betroffen sind.
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