Duzen oder Siezen – ist das einklagbar?

Duzen oder Siezen – ist das einklagbar?

Eine lockere Unternehmenskultur macht sich oft auch durch Kleinigkeiten bemerkbar. Das soll Hemmschwellen im Umgang miteinander absenken und das WIR-Gefühl stärken. Da geht es beispielsweise um den Verzicht bestimmter Kleidervorschriften oder auch ganz simpel um die Frage der Anrede: Duzen oder Siezen.

Doch nicht jeder Beschäftigte kann sich mit derlei Lockerheit anfreunden. So mancher hat in Erziehung und bisherigem Arbeitsleben komplett andere Werte vermittelt bekommen. Diese zu variieren oder gar ganz abzulegen, das fällt manchmal schwer. Da wird für sich selbst sogar eine Ausnahme von internen Umgangsregeln beansprucht, notfalls vor Gericht.

So geschehen am Landesarbeitsgericht Hamm zur alles entscheidenden Frage: Duzen oder Siezen – was gilt? (LAG Hamm, AZ: 1145/98) 

Geklagt hatte ein Abteilungsleiter aus der Filiale eines Bekleidungsunternehmens. Dort wurde bisher ein eher konventioneller und klassischer Stil gepflegt. Dies betrachtete man als gebotene Pflicht gegenüber der überwiegenden Kundenklientel mittleren Alters. Eines Tages wurde diese Filiale von H&M übernommen. Dieses Unternehmen bevorzugt einen merklich unkonventionelleren Umgang, ganz im Einklang mit dem preisbewußten und deutlich jüngerem Kundenkreis. Das Arbeitsverhältnis des Abteilungsleiters ging im Rahmen eines Betriebsübergangs gemäß § 613 a BGB auf H&M über.

In einer Betriebsversammlung wurde die Belegschaft unmittelbar nach dem Betriebsübergang auch darüber informiert, dass sich künftig alle Belegschaftsmitglieder untereinander zu duzen hätten. Es sollte, wie bei H&M üblich, ein betont kollegialer Umgangsstil Einzug halten. Damit wollte man  möglichst zügig die zweifellos vorhandenen Hierarchien abbauen.

In der Folgezeit sprachen sich die Mitarbeiter, einschließlich des Klägers, dementsprechend mit dem Vornamen an und duzten sich.

Nach knapp zwei Jahren aber intervenierte der Filialleiter und beanspruchte für die Zukunft die nach seiner Auffassung korrektere Form des Siezens für sich. Er wollte sich  künftig nur mit denjenigen Freunden und Mitarbeitern duzen, die er hierfür autonom auswählt. Er verlangte also per Anwalt, dass H&M die Mitarbeiter in der Filiale entsprechend zu informieren hätte.

H&M lehnte das ab, woraufhin der Arbeitnehmer gegen das Unternehmen klagte. In erster Instanz unterlag er und auch die Berufung blieb ohne Erfolg. Das Gericht folgte dem Kläger zwar grundsätzlich in der Frage, dass Duzen oder Siezen in der Gesellschaft ein selbstbestimmtes Recht ist. Dieses Selbstbestimmungsrecht hat aber relativ enge Grenzen. Es ist eingebettet in diejenigen Gebräuche, die im jeweiligen Beziehungskreis des jeweiligen Betroffenen üblich sind. Das Anredeselbstbestimmungsrecht ist demnach kein absolutes Recht. Ein Vergleich mit anderen Kulturkreisen, bei denen es nur eine Anredeform gibt, unterstreicht diese Darstellung. Es kommt also darauf an, was im jeweiligen Beziehungskreis üblicherweise praktiziert wird.

In Betrieben ist beim Duzen oder Siezen auf die Üblichkeit abzustellen

Soweit ein vorhandener Betriebsrat keine Einwände vorbringt, wie im vorliegenden Fall, liegt eine formlose Regelungsabrede in einer Mitbestimmungsangelegenheit gemäß § 87 I Nr. 1 BetrVG vor. Einen Anspruch auf das Siezen hat der Arbeitnehmer aber nur dann, wenn gerade das auch Inhalt seines bisherigen Arbeitsverhältnisses gewesen ist. Dieser Nachweis gelang hier nicht. Eine vertragliche Abrede, die das Duzen oder Siezen im Unternehmen regelt, konnte der Kläger nicht beibringen.

Entscheidend war also letztlich, dass der Beschäftigte die lockeren neuen Umgangsformen eine geraume Zeit akzeptiert oder zumindest geduldet hat. Ein nachträglich geäußerter Widerwille ist dabei unerheblich. Auf die tatsächlichen Geschehnisse kommt es an. Die nunmehr offen zu Tage getretene Ablehnung gegen das Duzen war lange Zeit kein Thema. Allein dieser Umstand ließ den Arbeitnehmer im Prozess verlieren. Er hätte sofort und von vornherein reagieren müssen.

In vielen Unternehmen ist man angesichts dieser Unwägbarkeiten dazu übergegangen, sich bereits bei Einstellung das Einverständnis für verbindliches Einhalten bestimmter Umgangsformen schriftlich bestätigen zu lassen.

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