
Überstundenabbau ist auch bei Krankheit möglich
In Deutschland gibt es bisher keine generelle Pflicht zur Erfassung der täglichen Arbeitszeit. Trotz eindeutig ergangener Urteile, die eine solche Pflicht bisher schon als geltend unterstellen, ist der Gesetzgeber immer noch nicht tätig geworden. Das Bundesarbeitsgericht hatte im Jahr 2022 aus gegebenem Anlass klargestellt, dass in europarechtskonformer Auslegung des Arbeitsschutzgesetzes bereits heute schon die Pflicht zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten besteht. Ohnehin sollte es längst Standard sein, die tägliche Arbeitszeit akribisch zu dokumentieren. Einmal erleichtert es die Gehaltsabrechnung, zum anderen verschafft es jedem Beteiligten einen verlässlichen Überblick hinsichtlich geleisteter Überstunden. Denn gerade bei Fragen zum Überstundenabbau gibt es regelmäßig Streit.
In diesem Zusammenhang kommt eine Regelung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG) ins Spiel, die schon lange verpflichtend, bis heute aber noch vielen unbekannt geblieben ist. Gemäß § 16 Abs. 2 (ArbZG) ist der Arbeitgeber verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit nach § 3 Abs. 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen und ein Verzeichnis der Arbeitnehmer zu führen, die in eine Verlängerung der Arbeitszeit gemäß § 7 Abs. 7 ArbZG eingewilligt haben. Diese Nachweise sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Allein damit wäre es jedem problemlos möglich, seinen Überstundenabbau zu planen.
Überstundenabbau und Krankheit
Es könnte also, zumindest bei diesem Thema, alles ganz einfach und problemlos vonstattengehen. Doch weit gefehlt, irgendwas ist immer. Entweder grätscht der Chef mit unaufschiebbaren Aufgaben in die Zeit, die dem Überstundenabbau dienen sollte oder aber man selbst wird hierbei zum Hindernis.
Besonders ärgerlich wird die Angelegenheit, wenn man während des gewährten Freizeitausgleichs erkrankt. Dann hat man regelmäßig das Nachsehen und bekommt keinen zusätzlichen Freizeitausgleich. Diese Auffassung wird schon lange von den Arbeitsgerichten aller Instanzen bestätigt. Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz hat auch eine praktikable Begründung zum Überstundenabbau trotz Krankheit geliefert.
Nachdem ihm ordentlich gekündigt worden war, verlangte ein Industriemechaniker eine Gutschrift von 66,75 Stunden auf sein Arbeitszeitkonto. Diese verwehrte ihm das Gericht aber. Der Mann war rund drei Monate zum Überstundenabbau von der Arbeitspflicht bezahlt freigestellt worden. In dieser Zeit war er erkrankt und wollte nun, dass ihm die Zeit der Erkrankung wieder gutgeschrieben wird. Das Gericht urteilte aber, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit während einer Freistellung keinen Einfluss auf die Wirksamkeit der Freistellung hat.
Ständige Rechtsprechung
Danach erfüllt der Arbeitgeber einen Anspruch auf Arbeitszeitausgleich bereits durch die Freistellung von der Arbeitspflicht. Der Arbeitnehmer muss hiernach im Freistellungszeitraum nicht mehr die nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Arbeitsleistung erbringen. Eine nachträglich eintretende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in dieser Zeit macht die Erfüllung des Ausgleichsanspruchs nicht hinfällig. Denn grundsätzlich trägt der Arbeitnehmer das Risiko, die durch Arbeitsbefreiung als Arbeitszeitausgleich gewonnene Freizeit auch tatsächlich nach seinen Vorstellungen nutzen zu können.
Natürlich sind Überstunden regelmäßig und gesondert zu vergüten. Die Arbeitsvertragsparteien können aber alternativ auch einen bezahlten Freizeitausgleich vereinbaren, heißt es im Urteil weiter. Im vorliegenden Fall hatten die Parteien ein Arbeitszeitkonto vereinbart. Der Arbeitgeber durfte daher auch die bis dato aufgelaufenen 472 Überstunden seines Mitarbeiters durch bezahlte Freizeit ausgleichen, nachdem er diesem ordentlich gekündigt hatte. Die Festlegung von Überstundenabbau durch Freizeitausgleich bedarf dabei nicht zwingend der Zustimmung des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber kann den Freizeitausgleich im Rahmen seines Direktionsrechts auch einseitig anordnen. Hier hatte er ein Interesse daran, dass die angefallenen Überstunden bis zum Ende der Kündigungsfrist weitgehend abgebaut sind.
Das Gericht stellte darüber hinaus klar, dass für eine analoge Anwendung des § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) hier kein Raum ist. Die Anrechnung von Krankheitstagen auf den Jahresurlaub ist eine Ausnahmeregelung, die nur für den Erholungsurlaub gilt. Ebenso wurde ein Verstoß gegen das Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) verneint. Der Entgeltfortzahlungsanspruch setzt immer voraus, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist. Das ist nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer, wie im erörterten Fall, auch aus einem anderen Grund nicht gearbeitet hätte. Nämlich wegen dem Überstundenabbau durch Freizeitausgleich (LAG Rheinland-Pfalz, AZ: 5 Sa 342/15).