
Der Azubi-Mindestlohn ist eine Mogelpackung
Ohne Moos nichts los! Das hatten wohl nun auch mal Politiker begriffen, als sie nach langem Zögern 2020 einen Azubi-Mindestlohn im novellierten Berufsbildungsgesetz (BBiG) gesetzlich verankerten. Doch wer als Azubi dachte, damit wird alles gut, der hatte sich auch diesmal geirrt. Das liegt vor allem im Geltungsbereich des Berufsbildungsgesetzes begründet.
Insofern hat sich gegenüber vergangener Jahre nicht viel geändert. Eine Azubi-Vergütung war dort schon bisher in § 17 BBiG festgeschrieben. Lediglich deren verbindliche Untergrenze wurde nunmehr festgesetzt. Doch auch davon können Ausnahmen zulässig sein, vor allem dann, wenn Tarifverträge eine andere, auch niedrigere, Vergütung für den Azubi beinhalten. Abweichungen nach unten sind weiterhin dann möglich, wenn der Ausbildungsbetrieb ansonsten wirtschaftlich überlastet wäre.
Um das System der Azubi-Vergütung insgesamt zu verstehen und echte Ansatzpunkte für wirkliche Reformen zu analysieren, muss man also etwas tiefer in die Materie eindringen.
Was kann der Azubi in seiner Lehrzeit erwarten? Verdient er Lehrgeld oder Lehrlingsgeld?
Umgangssprachlich wird das Lehrgeld gern als Synonym für die ersten beruflichen Missgeschicke gebraucht. Dabei hatte der Begriff vor noch nicht all zu langer Zeit einen tatsächlich in Geld zu messenden Hintergrund. Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war es durchaus üblich, für eine Ausbildung zu bezahlen. Diese Praxis entstammte dem Mittelalter, wo Lehrlinge sich dem Handwerksmeister verdingten. Um eine fachliche Ausbildung zu genießen und hiernach einen anerkannten Gesellenabschluss zu erlangen, musste für Unterkunft und Verpflegung während der Lehrzeit viel Geld aufgewendet werden. Das war für die Familien der Lehrlinge meist eine gewaltige Kraftanstrengung.
Heute ist das System komplett ins Gegenteil verkehrt.
Mit Einführung der dualen Berufsausbildung wurde die Zahlung einer Ausbildungsvergütung gesetzliche Pflicht. Das sogenannte Lehrlingsgeld hat das Lehrgeld komplett abgelöst und ist überwiegend in Tarifverträgen festgeschrieben. Dort ist auch die Staffelung der Lehrlingsentgelte geregelt, denn die Ausbildungsvergütung muss mit den Ausbildungsjahren zwingend ansteigen.
Allerdings variiert die Höhe der Vergütung nach Branche und nach Bundesland teilweise erheblich, so dass sich Differenzen von vielen hundert Euro ergeben können. Dabei ist das Lehrlingsgeld aber kein Lohn und kein Gehalt. Es ist vielmehr eine Aufwandsvergütung für den Azubi, damit dieser seine Kosten tragen kann. Nicht allen gelingt das in Anbetracht der Höhe der Entgelte. Deshalb nunmehr die Einführung eines Azubi-Mindestlohns, der sich am BaföG orientiert.
Hinzu kommt, dass ab einer Entgelthöhe von 325,00 EURO brutto pro Monat Sozialabgaben fällig sind, die der Ausbildungsbetrieb vor Auszahlung einbehält und abführt. Wer als Lehrling im Jahr 9.500 EURO und mehr „verdient“, der muss unter Umständen auch Steuern zahlen. Es macht also Sinn, sich schon als Azubi mit dem Thema Steuererklärung auseinander zu setzen, um etwaige Mehrbelastungen geltend zu machen.
Doch nicht jeder Azubi erhält eine Ausbildungsvergütung.
Ausbildungsberufe, die nicht dem dualen System zugehörig sind und damit auch nicht dem Geltungsbereich des Berufsbildungsgesetzes bzw. der Handwerksordnung unterfallen, gehen hier auch weiterhin meist leer aus. Vor allem trifft das Azubis in sozialen und pflegerischen Berufen. Sie müssen, soweit Eltern nicht für den Unterhalt einspringen können oder ein Nebenjob zu wenig einbringt, die staatlichen Möglichkeiten zur Unterstützung während der Lehrzeit in Anspruch nehmen. Hier kommen entweder die Berufsausbildungsbeihilfe (BAB) oder das BaföG in Betracht.
Ein erheblicher Teil im System der Berufsausbildung, vor allem im sozialen und im pflegerischen Bereich, unterliegt also auch weiterhin keiner gesetzlichen Regelung zur Vergütung, geschweige denn der verbindlichen Anwendung eines Azubi-Mindestlohnes.
Hält man sich vor Augen, dass gerade diese Berufe förmlich nach Nachwuchs für zukünftige Sicherstellungen in diesem Bereich schreien, bleibt die weitere Ausgrenzung vor allem bei der Azubi-Vergütung ein fatales Kuriosum. Doch das ist traditionell der Föderalismus-Struktur geschuldet, wo jedes Bundesland sein eigenes Schulsystem bewacht, mit eigenen gesetzlichen Besonderheiten. Zentralisierungen und gar Eingriffe seitens des Bundes sind nicht gewollt.
Solange sich also keine bundeseinheitlichen Regelungen für die betroffenen Berufe an Berufsfachschulen durchsetzen können, bleibt es bei der offenkundigen Benachteiligung der dort lernenden Azubis. Ob der Nachwuchs für die vielen Einrichtungen in diesen Bereichen damit auf Dauer noch gesichert werden kann, das bleibt mehr als fraglich. Auch Azubis brauchen Geld zum Leben. Denn auch hier gilt: Ohne Moos nichts los.