Lesen eröffnet Chancenvielfalt
Wer nicht richtig lesen kann, hat im Leben nur begrenzte Chancen. Lesen ist ein wesentlicher Schlüssel für Bildung. Eine umfassende Lesekompetenz ist daher Voraussetzung für die persönliche Entwicklung, für Erfolg im Berufsleben und für gesellschaftliche Teilhabe.
Allerdings zeigen diverse Studien für die Lesekompetenz deutscher Kinder seit Jahren große Defizite auf: So kann jeder vierte Viertklässler nicht richtig lesen und immerhin noch knapp 15 Prozent der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler verfügen nur über eine schwache bis sehr schwache Lesekompetenz. So sind nach letzten Erhebungen der Level-One-Studie etwa 7,5 Millionen Erwachsene hierzulande funktionale Analphabeten, also nicht in der Lage, Texte richtig zu verstehen und richtig zu schreiben sowie weitere 13,3 Mio. Erwachsene mit einer Schriftsprache ausgestattet, die auch bei gebräuchlichem Wortschatz fehlerhaft ist. Nur jeder Fünfte in Deutschland liest regelmäßig ein Buch. Analysiert sind die Schwachstellen seit langem. Auch immer wieder neue Studien bringen keine optimistischer stimmenden Ergebnisse. Der gesellschaftliche Aufschrei nach der letzten PISA-Studie darf somit durchaus als hochgradig scheinheilig angesehen werden.
Mangelnde Lesefähigkeiten bilden aber in der Folge ein sich selbst reproduzierendes Problem. Unter den Kindern und Jugendlichen wachsen kontinuierlich neue Generationen potenzieller funktionaler Analphabeten heran. Aufgrund mangelnder Lesefähigkeiten fehlt ihnen eine zentrale Voraussetzung für Bildung und auch für den Zugang zum Arbeitsmarkt. Soweit die heutigen Kinder und Jugendlichen selbst Kinder haben und als Eltern nicht die notwendige Förderung anbieten können, wird es auch für die dann heranwachsende Generation ein Lese-Problem geben. Das Land der Dichter, Denker und genialen Erfinder scheint zunehmend ins Mittelmaß abzudriften.
Doch von der Ernsthaftigkeit gegensteuernder Bestrebungen ist man allseits weit entfernt. Die inzwischen breit gestreute Niveauabsenkung zeigt sich in fataler Weise. So bleiben jährlich tausende Lehrstellen unbesetzt, weil die Ausbildungsreife einfach nicht vorhanden ist. Der Kompetenzerwerb in den Schulen scheint seit langem zur Beliebigkeit verkommen zu sein.
Da kann es auch keine Verweise mehr an angeblich bildungsferne Elternhäuser geben. Hier besteht Lieferpflicht der Schulen und zwar ohne Wenn und Aber. Die Bildungs- und Erziehungsziele der einzelnen Schulgesetze sowie die Grundsätze ihrer Verwirklichung sind zwingendes Recht. Für Schüler aber auch für das Lehrpersonal. Es macht Sinn, diese Dinge wieder mal so ernst zu nehmen, wie sie ursprünglich gemeint waren.
Eine umfassende Lesekompetenz, dazu gehört selbstverständlich auch das Lesen digitaler Medien, ist eine wesentliche Voraussetzung, um sich persönlich und gesellschaftlich zu entwickeln, im Berufsleben erfolgreich zu sein, als informierter Mitbürger am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und seine auch Rechte wahrnehmen zu können. In einer multimedialen Welt sind Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, elektronische Medien, Internet, Filme und Hörmedien miteinander verbunden und verweisen aufeinander. Sie sind demnach gleichwertig. Einseitige Verteufelungen, die oft im Zusammenhang mit Lesekompetenzen auftauchen, gehören also ins Märchenreich.
Lesekompetenz ist die Grundlage jeglicher Bildungsanstrengung. Deshalb bedarf sie angestrengter staatlicher und gesamtgesellschaftlicher Initiativen und Programme. Vor allem die staatlichen Schulen müssen hier endlich ihren Auftrag erfüllen.
Natürlich gehört zum Lesenlernen eine gewisse Disziplin. Was einigen große Freude bereitet, bereitet anderen Kopfzerbrechen. Lesen, das bereichernd und auch vergnüglich sein soll, gehört aber zu den vor allem anfänglich schwierig zu erlernenden Fertigkeiten. Deshalb muss das Interesse daran sehr früh und auch immer wieder neu geweckt werden.
Vorlesen ist dabei ein probates Mittel, Kinder an die Schrift heranzuführen und ihnen Lust auf das eigene Lesen zu machen. Erzählen und Vorlesen wecken und fördern das Leseinteresse, den Wortschatz, das Sprachgefühl, die Erlebnisfähigkeit sowie die Einsicht in den Sinn der Schriftsprache.
Es gibt inzwischen viele Anstrengungen seitens der Stiftung Lesen, Vorleseinitiativen und vieler anderer Unterstützer, dieses gesellschaftliche Problem endlich in den Griff zu bekommen. Dazu gehört es aber auch, Eltern zu unterstützen und elektronische Medien als Ziel und Mittler erworbener Kompetenzen zu verstehen und zu akzeptieren. Lesen und digitale Kompetenz müssen heute von Beginn an zusammen gedacht werden, sonst verliert dieses Land immer weiter den Anschluss.