Die Sache mit dem Mittelfinger

Die Sache mit dem Mittelfinger

Die Sache mit dem Mittelfinger

Provokationen sind oft unvermeidlich. Doch die Reaktion darauf ist es, die das Ganze entweder zur Eskalation treiben kann, in ihrer Wirkung abschwächt oder aber bereits im Keim ersticken lässt. Letztere Möglichkeit ist manchmal sehr schwer und verlangt vom Provozierten schon ein hohes Maß an Beherrschtheit. Vor allem im Straßenverkehr sind Provokationen an der Tagesordnung, heftige Reaktionen darauf ebenso. Wie schnell ist dabei der berühmt berüchtigte Mittelfinger im Spiel. Doch damit gewinnt die Situation plötzlich eine völlig neue Dimension, die Grenze zur Strafbarkeit wird überschritten. Der gezeigte Mittelfinger im Straßenverkehr ist keine Spielerei mehr, auch keine mit Bußgeld bedrohte Ordnungswidrigkeit. Derlei gilt als Beleidigung gemäß § 185 StGB und kann mit Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet werden. Natürlich ist der Beweis meist schwierig, was aber kein Freibrief sein kann. 

Mittelfinger im Arbeitsrecht

Nun sind Provokationen und auch Beleidigungen keine Eigenart des gemeinen Straßenverkehrsteilnehmers. Auch im Arbeitsverhältnis taucht ab und an der ausgestreckte Mittelfinger als deutliches Zeichen an den Gegenüber auf. Beleidigte Kollegen können entsprechend mit einer Anzeige reagieren. Ist allerdings der Arbeitgeber der Adressat, dann steht unter Umständen die Kündigung in Rede. Allerdings ist auch hier wieder der Beweis einer Beleidigung schwierig. Ist daneben auch noch die Zuordnung des Adressaten nicht eindeutig möglich, dann bleibt die Sache trotz ausgestrecktem Mittelfinger ungesühnt. So geschehen in dem Fall, den das Landesarbeitsgericht Düsseldorf vor einiger Zeit zu entscheiden hatte (LAG Düsseldorf, AZ: 3 SA 364/21) 

Dort hatte sich der betroffene Arbeitnehmer, ein Flugkapitän, zusammen mit anderen Crew-Mitgliedern nach der Landung mit ausgestrecktem Mittelfinger vor einer Kameras ablichten lassen. Als der Arbeitgeber das Foto sah, kündigte er das Arbeitsverhältnis wegen der beleidigenden Geste des Piloten fristlos. Der Betroffene erhob Kündigungsschutzklage, da er seine Geste komplett anders verstanden wissen wollte. Er behauptete, nicht seinem Arbeitgeber den Mittelfinger gezeigt zu haben, sondern dem Corona-Virus und den Folgen der Pandemie. Corona habe schließlich dazu geführt, dass die Flugzeugbasis der Beklagten geschlossen werden musste und deshalb viele Arbeitsplätze wegfielen. Dieser Argumentation folgte das Landesarbeitsgericht Düsseldorf und erkannte keinen Grund für die außerordentlichen Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 durch das Zeigen des Mittelfingers.

Beleidigung braucht Beweis

In der Urteilsbegründung legte das Gericht die Entscheidungsgründe absolut nachvollziehbar offen: 

Demnach kann als wichtiger Grund für eine Kündigung neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten sein. Jede Arbeitsvertragspartei ist zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung würden beispielsweise grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen darstellen. 

Der ausgestreckte Mittelfinger im behandelten Fall stellt jedoch keine dem Piloten nachweisbare Beleidigung seines Arbeitgebers oder von dessen Geschäftsführung dar. Maßgeblich für die Deutung einer in der Geste liegenden, ehrabschneidenden Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis potentiell von ihr Betroffener, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat. Die Motivation des Piloten war vorliegend aber rein spekulativ verstanden worden. Seine Behauptung einer spontanen Reaktion, allein aus der Angst, wegen Corona den Job zu verlieren, erscheint ebenso plausibel. 

Abmahnung statt Kündigung

Eine Beleidigung des Arbeitgebers oder seiner Geschäftsführung war als Kündigungsgrund demnach nicht feststellbar. Bestenfalls bliebe hier der Vorwurf einer schwerwiegenden Nebenpflichtverletzung. Ohne Zweifel sind die Anforderungen an das Verhalten eines Flugkapitäns schon relativ hoch. Doch ein solcher Pflichtverstoß kann auch nicht mit einer sofortigen Kündigung geahndet werden. Vielmehr wäre dann als adäquate Reaktion eine Abmahnung zu wählen gewesen.

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus.

Abschließend ermahnte das Gericht den Arbeitgeber, hier sprichwörtlich die Kirche im Dorf zu belassen. Hängt doch in der Firmenzentrale das Wandbild einer älteren Dame mit ausgestreckten Mittelfingern. Deshalb kann vermutet werden, dass der Arbeitgeber  im allgemeinen ein recht entspanntes Verhältnis zu derlei Gesten pflegt.

Bild von Engin Akyurt auf Pixabay

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