Jeder Streik birgt finanzielle Risiken
Wirtschaftliche Unsicherheiten, aufgrund der sich weltweit ausbreitenden Krisen, haben in Deutschland nun auch wieder viele Gewerkschaften auf den Plan gerufen. Mehr Geld soll her, möglichst soviel, dass jeder anstehende Preisanstieg auch seinen finanziellen Ausgleich in der Lohntüte findet. Solidarisch ist das nicht unbedingt, aber derlei Interessen-Egoismus ist nun auch spätestens seit der Corona-Pandemie allbekannt. Ein Streik muss her, die Auswirkungen werden geflissentlich ignoriert.
Wie immer liegen das vereinheitlichte Wollen der Gewerkschaften, die Erwartungen vieler Beschäftigter und die Kompromissbereitschaft der Arbeitgeberseite weit auseinander. Doch das ficht weder die Gewerkschaften noch die Beschäftigten an. Ein gewisses Restrisiko bleibt dennoch immer: Was passiert eigentlich, wenn die Arbeitgeber sich konsequent stur stellen, wenn auch das Druckmittel Streik ins Leere läuft?
Am Beispiel des jährlichen Streikaufrufs von Verdi, der immer wiederkehrend kurz vor Weihnachten den Versender Amazon in die Knie zwingen soll, lassen sich solche Worst-Case-Szenarien sehr gut betrachten. Auch andere Arbeitgeber finden inzwischen Gefallen an einer solchen Gegenstrategie.
In Deutschland ist das Recht zum Streik im Grundgesetz verankert (Artikel 9 Abs.3 GG).
Allerdings dürfen sich nur Arbeitnehmer am Streik beteiligen, deren Arbeitsverhältnis durch einen Tarifvertrag geregelt werden kann. Deshalb können Beamte nicht streiken. Geschützt ist auch nur die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik und soweit man im Arbeitsvertrag selbst tariflich vom Streit betroffen ist. Sogenannte Sympathiestreiks zur Unterstützung anderer Arbeitnehmer sind rechtlich unzulässig. Hier kann eine Teilnahme ernste Konsequenzen haben, in Form von Abmahnung und Kündigung.
Ruft eine Gewerkschaft zum rechtmäßigen Streik auf, so sind die Gewerkschaftsmitglieder verpflichtet, sich daran zu beteiligen. Diese Verpflichtung ist in den Satzungen der einzelnen Gewerkschaften geregelt. Streik bedeutet aber lediglich die Verweigerung der Arbeitsleistung für eine gewisse Zeit, um tariflich regelbare Ziele durchzusetzen. Davon zu unterscheiden sind die Kundgebungen oder Streikversammlungen, die in der Regel vor den bestreikten Betrieben stattfinden. Hier ist eine Teilnahme von den Gewerkschaften erwünscht, aber rechtlich nicht verpflichtend.
So mancher könnte also auf die Idee kommen, die Zeit des Streiks für einen Sonderurlaub zu nutzen.
Das hat aber einen Haken. Die Gewerkschaften verbinden die lückenlose Teilnahme an den Veranstaltungen mit der Zahlung des Streikgeldes. Wer sich nicht registrieren lässt, geht finanziell völlig leer aus. Denn der Arbeitgeber schuldet für die Zeit des Streiks keine Vergütung, es wird schließlich nicht gearbeitet. Nicht-Gewerkschaftsmitglieder können sich grundsätzlich am Streik beteiligen, wenn sie sich auch tarifliche Vorteile erhoffen. Anspruch auf Streikgeld haben diese allerdings nicht. Für sie wäre der Kurzurlaub also genauso folgenlos. Sollten sie sich allerdings für ihre Arbeit entscheiden, trotz des Streiks der anderen, kann das unangenehm werden. Sofern der Arbeitgeber seine Tore nicht geschlossen hält, was er natürlich auch könnte, werden Arbeitswillige oft als Streikbrecher beschimpft und gegängelt. Zulässig ist dies keinesfalls, allerdings schaukeln sich bei vielen Arbeitskämpfen die Emotionen schnell hoch.
Neben dem Wegfall der Lohn- und Gehaltsansprüche für die Zeit des Streiks, gibt es noch weitere finanzielle Einbußen.
Diese sollte man nicht vernachlässigen, vor allem wenn der Arbeitskampf länger andauert. Hier wird durch die Gewerkschaften nichts kompensiert. So bleiben zwar die Renten- und Pflegeversicherung während des Streiks bestehen, aber für diese Zeit werden keine Beiträge entrichtet. Der Zeitraum fehlt also später bei den anrechnungsfähigen Versicherungszeiten. Das gleiche trifft auch für die Betriebsrenten zu.
Der Arbeitgeber führt für die Zeit des Streiks natürlich auch keine Zahlungen an die Arbeitslosenversicherung ab. Dauert der Streik also mehr als 4 Wochen, so fehlt dieser Zeitraum für eine Anrechnung bei eventuell eintretender Arbeitslosigkeit. Auch der Unfallschutz aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist unterbrochen, so dass jegliche Unfallgefahr zu eigenen Lasten geht. Die freiwilligen Zusatzleistungen des Arbeitgebers, wie Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld und vermögenswirksame Leistungen, entfallen in der Zeit des Streiks. Auch das kann durchaus schmerzlich sein.
Im jährlichen Streit zwischen Verdi und Amazon übrigens hat der Versender inzwischen längst weiter aufgerüstet: Extra für die Vorweihnachtszeit werden dort Anwesenheitsprämien und Jahres-Sonderzahlungen für die Mitarbeiter in Aussicht gestellt. Ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Gewerkschaft Verdi hier auch weiterhin die Zähne ausbeißen könnte.
Andere Arbeitgeber hingegen bringen inzwischen völlig unverblümt ihre Arbeitnehmer in Stellung, die keiner Gewerkschaft angehören bzw. nutzen in immer größerem Maße externe Dienstleister für die besonders arbeitsintensiven Prozesse. Für die Gewerkschaften könnte eine solche Tendenz gefährlich werden, spätestens dann, wenn jegliche „Schmerzgrenze“ gerissen wird.